Impuls zum 2. November 2025
Von Ferdinand Kerstiens (Marl), pax christi Münster
Allerheiligen – Allerseelen
Vorbemerkung
Ich habe es so gelernt: Allerheiligen ist das Fest aller Heiligen im Himmel, d.h. aller von der Kirche Heiliggesprochenen. Allerseelen ist das Fest im Gedenken an die armen Seelen im Fegfeuer. Gebet und vor allem der Ablass helfen den armen Seelen, die Zeit im Fegfeuer zu verkürzen. Der Ablasshandel half beim Bau des Petersdomes in Rom und war Grund für die Reformation. Doch gab es danach immer noch den Ablass der zeitlichen Sündenstrafen für Monate und Jahre. Den „Vollkommenen Ablass“ gibt es auch noch heute für das Heilige Jahr 2025. Alle Versuche, den Ablass heute noch zu deuten und zu empfehlen, sind für mich mühsame, aber vergebliche theologische Versuche, verkorkste Frömmigkeitsformen und Vorstellungen zu retten.
Hinführung
Die heutige Forschung ist sich einig: Allerheiligen und Allerseelen sind unabhängig voneinander entstandene Gedenktage aller Verstorbenen, ursprünglich in der Osterzeit gelegen, dann in den Herbst verlegt, wohl im Gedenken an den Herbst des Lebens, in den Monat November, in den auch der Ewigkeitssonntag der Evangelischen Kirchen und der Volkstrauertag als staatliches Gedenken fallen. Feiern wir also dieses Doppelfest als österliches Gedenken an alle Verstorbenen, an unsere Eltern und Vorfahren, an Geschwister, Freundinnen und Freunde. Damit reihen wir uns ein in das Gedenken der Toten in den Ahnenkulten Afrikas, in das indigene Gedenken der Völker Südamerikas, die mit ihren Ahnen und mit ihrer ganzen Mitwelt, den Bäumen und dem lebendigen Wasser verbunden bleiben. Vergessen dürfen wir dabei die Opfer nicht, die, denen das Leben geraubt wurde durch Ungerechtigkeit und Gewalt, Krieg, Hunger und vermeidbare Krankheit, alle, die Opfer anderer Menschen wurden. Wir tun dies als Christinnen und Christen in großer Solidarität mit den Toten, ohne die wir nicht da wären. Wir feiern unsere Toten im Vertrauen darauf, dass der Tod nicht das letzte Wort hat über uns Menschen, sondern dass wir mit unserem ganzen Leben dann endgültig bei Gott geborgen sind. Das meint das missverständliche Wort „Auferstehung“: mit dem ganzen Leben endgültig bei Gott geborgen sein. So legt es uns der Römerbrief nahe:
Lesung: Röm 8,31b-35.37-39
Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist es, der gerecht macht. Wer kann sie verurteilen? Christus Jesus, der gestorben ist, mehr noch: Der auferweckt wurde, er sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? Doch in alldem tragen wir einen glänzenden Sieg davon durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe und noch Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
Das Gedenken der Toten ist Zeichen einer tiefen Humanität. Die Toten sind nicht tot. Sie gehören zu unserer Lebenswelt. Wir bleiben ihnen verbunden, nicht nur durch die Gene, sondern durch unser ganzes Dasein in unserem Hier und Jetzt der Geschichte, unserer Heimat, unserer sozialen Situation, unserer Mitwelt. Das erste ist dann der Dank für unser Leben, der Dank an unsere Eltern und Vorfahren. Ohne sie lebten wir nicht; Dank an unsere Freundinnen und Freunde, die schon verstorben sind, Dank an Menschen, die uns gezeigt haben, wie wir menschenwürdig leben können, Dank an die „Heiligen“, das sind die Menschen, die uns lieben gelernt haben, Geduld, Mut, Vertrauen, Kraft zu Neuanfängen, Glauben, Versöhnung, Frieden, Gerechtigkeit. Sicher kann jede/r von uns dafür Namen nennen. Wir sollten bewusst an diesen Festtagen unserer Toten einmal in einer stillen Stunde gedenken. In dem Dank an die Menschen, die uns geholfen haben, einen guten Weg zu gehen, ist der Dank an Gott für diese Menschen, die er uns als Wegbegleiter*innen geschickt hat, eingeschlossen.
Das zweite ist das Gedenken der Unheilsgeschichte, in die wir auch verwickelt sind, das Gedenken der Opfer. Auch sie gehören zu unserer eigenen Geschichte; das Gedenken der Opfer, das Nachdenken über das Unheil, das Menschen Menschen bereitet haben. Wie konnte das so geschehen? Wer sind die Opfer, wer die bloßen Zuschauer, wer die Nutznießer, wer die Täter? Oder sind wir alles zugleich in unterschiedlicher Mischung? Gibt es eine Zukunft für die Opfer, gibt es eine Zukunft für die Täter? Wer sind die „Armen Seelen“, die zu unserer eigenen Geschichte gehören? Gibt es Hoffnung für sie? Hören wir die Botschaft der Opfer? Macht das etwas mit unserem Leben? Dazu das heutige Evangelium:
Evangelium: Joh 14,1-6
Jesus sagte zu seinen Jüngern: euer Herz lasse sich nicht verwirren! Glaubt an Gott und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Und wohin ich gehe – den Weg dorthin kennt ihr. Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen? Jesus sprach zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.
Wir dürfen diese Worte hören mitten in unsere offenen Fragen hinein: Lasst euch nicht verwirren! Habt keine Angst! Es gibt Hoffnung auch für die Toten, auch für die Opfer, und trotz allem, ja, auch für die Täter. Tod ist auch Gericht. Um keinen Menschen müssen wir Angst haben, auch für uns selbst nicht. Der Mensch begegnet Gott, unverstellt. Da wird ihm heilsam oder/und schmerzhaft klar, wie er gelebt hat. Die Täter bleiben nicht Täter und die Opfer nicht Opfer. „Euer Herz lasse sich nicht verwirren!... Ich bin der Weg zu Wahrheit und Leben.“ Interessant ist, dass nicht die (griechische) Lehre von der unsterblichen Seele, die im Tod von ihrer sterblichen Hülle befreit wird, der Grund der biblischen Hoffnung auf endgültiges Leben bei und in Gott ist, sondern das schon im Alten Testament begründete Vertrauen, dass doch Gottes Liebe zu jedem Menschen so stark ist, dass der Tod nicht die Macht hat, diese Liebe zu zerstören. Die Hoffnung ist also nicht in der Natur des Menschen, sondern in Gott begründet. Jesus ist als einer von uns diesen Weg des Glaubens und der Hoffnung vorausgegangen: „Damit auch ihr dort seid, wo ich bin“.
Wenn wir in dieser Hoffnung für unsere Toten und damit auch für uns als sterbliche Menschen leben dürfen, dann ist jeder Augenblick jetzt wichtig, jeder Einsatz für das Leben, jede Zuwendung in Liebe und Lust, jede Versöhnung und Vergebung, jeder Schritt für mehr Gerechtigkeit und Liebe schon heute. Wir brauchen die anderen und auch uns selbst nicht aufgeben. Es ist ja gerade nicht so, dass die christliche Hoffnung auf das Leben nach dem Tod vertröstet und so die Kräfte lähmt, die Not der Gegenwart zu überwinden, wie Karl Marx zu Recht eine damals kirchlich unterstützte herrschende Frömmigkeit kritisierte. Jeder Augenblick jetzt ist wichtig, weil er zu meinem Leben gehört, das als Ganzes bei Gott geborgen wird. Jeder Augenblick hat ewiges Gewicht, wenn wir „ewig“ nicht als Quantität eines endlosen Lebens verstehen, sondern als Qualität der Zeit, die vom Tod nicht zerstört werden kann. Jede Erfahrung von Liebe und Geborgenheit, von Gerechtigkeit und Frieden ist also schon Vorgeschmack des endgültig Erhofften. Feiern wir also Allerheiligen und Allerseelen als Hoffnungsfest für unsere, für alle Toten und als Ermutigung für unser Leben.
Gebet
Guter Gott,
unsere Welt ist so schrecklich unheilig,
so voll von Ohnmacht und Gewalt.
Viele Menschen scheitern mit ihrem Leben,
mit ihrer Liebe.
Vielen wird das Leben geraubt.
Du willst doch das Leben und nicht den Tod!
In Jesus hast du gezeigt,
dass deine Liebe sich hineintraut in die Abgründe unseres Todes,
dass du an dem Gelingen unseres Lebens interessiert bist.
Lass deine Hoffnung mit uns Menschen nicht scheitern!
Lass unsere Hoffnung auf dich nicht scheitern!
Lass uns schon jetzt inmitten aller Not den Vorgeschmack dessen erfahren,
was du uns allen schenken willst.
Gott, Vater und Mutter aller Menschen.
Du bist größer als unser Herz.
Deine Liebe reicht weiter als unsere Erkenntnis.
Wir danken dir für die Heiligen,
die uns in unserem Leben begleitet haben,
Menschen, deren Namen wir kennen,
und ohne die wir nicht zum Glauben gekommen wären.
Wir wagen zu bitten mit zitterndem Glauben:
Lass auch uns zu deinen Heiligen gehören,
zu Heiligen für andere Menschen.
Dann können wir Grenzen überschreiten
und zusammen mit allen,
unter welchem Namen sie dich auch nennen,
deine Menschheit werden auf unserer kleinen Erde.